Gestampfter Jude

«Gestampfter Jude» (Mundart: gschtampfte Jud) war in der Soldatensprache eine der gängigen Bezeichnungen für die Fleischkonserven der Schweizer Armee. Der Begriff kam im Zweiten Weltkrieg auf und war bis in die 1990er-Jahre gebräuchlich. Sein antisemitischer Gehalt wurde meist übersehen oder verharmlost.  

Wie alle Soldatensprachen ist auch die der deutschen Schweiz sehr bildhaft und oft derb. Sie macht ihre Witze über die militärischen Hierarchien, über Frauen – und über Jud:innen. Im Ersten Weltkrieg nannten die Soldat:innen Kaffee und Tee «Judeschweiss» (in späteren Jahrzehnten wurde Kaffee dann zu «N****schweiss»).

Fleischkonserven in flachen Büchsen zu 120 Gramm gab es in der Schweizer Armee seit 1915. Doch erst in der Zeit des Zweiten Weltkriegs kam dafür die Bezeichnung «gestampfter Jude» auf. Woher die Wortschöpfung stammt und wann genau sie entstand, lässt sich nicht mehr feststellen. Männer, die im Zweiten Weltkrieg Militärdienst leisteten, haben zu dieser Zeit den Ausdruck zum ersten Mal gehört. Der Journalist Fritz Herdi schreibt 1985 in seinem Buch «Heiteres aus dem feldgrauen Dienst. Wie Soldaten reden»: «Umfragen brachten 1985 die Bestätigung, dass ‹Judegünggel› für Cervelat, ‹Nudlejud› für den Militärküchenchef noch durchaus gängig sind. (…) Hoffnungslos ist offensichtlich das vielseitige Bemühen, eine der peinlichsten Peinlichkeiten (seit dem letzten Krieg noch penibler als vorher) auszumerzen: ‹gstampfte Jud› und ‹iigstampfte Jud› für Büchsenfleischkäse.» Als weitere Bezeichnungen für die Armee-Fleischkonserve nennt Herdi: Assekuranzfleisch, Büchsemuni, «Büchse-Indianer», ghackte Chäfer, quätschte Stier, ghackte Missionar, Isebahnunglück, Lawinenopfer, Bläächbüffel, Panzerkavallerie, gstampfte Uhu, Nina Hagen, John Wayne.

Bis in die 1990er-Jahre war «gestampfter Jude» die weit verbreitete Bezeichnung für die Fleischkonserve. Ob die nationalsozialistische Judenvernichtung diese Wortbildung inspirierte, ist unbekannt. Fritz Herdi behauptet (allerdings ohne Beleg), die Bezeichnung sei älter als der Holocaust. Tatsache aber bleibt, dass das Wissen um die Judenvernichtung nicht dazu geführt hat, auf diesen Ausdruck zu verzichten. Der Journalist Max Frenkel nannte das 1999 in der NZZ «unbewussten Antisemitismus, der eigentlich gar keiner mehr ist, weil jene, die hier zu nennen wären, nicht im entferntesten in eine solche Ecke gestellt werden möchten oder dürften». Sogar heute noch taucht der Begriff z.B. in Blogs von Fussballfans auf – allerdings losgelöst vom Kontext der Armee-Fleischkonserve.

Literarisch verwertete Thomas Hürlimann 2001 den «gestampften Juden» in seiner Novelle «Fräulein Stark» (Kapitel 25). Dort wettet der emeritierte Gymnasialprofessor Tasso Birri mit dem Bibliothekar der Stiftsbibliothek des Klosters St. Gallen, dass es ein Wort gebe, das garantiert in keinem Buch seiner Bibliothek vorkomme:
«Also, fragte der Onkel, was für ein Wort soll uns fehlen? Der g’stampfte Jud, sagte Tasso Birri, donnerndes Gelächter, auch vom Gastwirt, bring die Runde, Porter, der Katz bezahlt! Während die Runde serviert wurde, belehrten sie mich von allen Seiten, was unter einem g’stampften Juden zu verstehen sei, nämlich ein Brotaufstrich, eine Art Wurstpaste, mehr Fett als Fleisch, aber durchaus essbar, jedenfalls nahrhaft, mit dem g’stampften Juden, meinte Professor Birri voller Stolz, haben wir unsern Füsilier durch den Krieg gefüttert.»

Tatsächlich hat der Ausdruck «gestampfter Jude» schriftlich nur spärliche Spuren hinterlassen, trotz seiner grossen mündlichen Verbreitung – da wird doch eine Hemmschwelle offenbar.

Siehe auch die Stichworte Antijudaismus, Antisemitismus und Judenschule.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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