Winkeladvokat

«Winkeladvokat:in» ist eine seit dem 19. Jahrhundert gebräuchliche, abschätzige Bezeichnung für eine:n unseriöse:n Rechtsanwält:in, die:der sich mit Tricks und Täuschungen für ihren:seinen Klienten einsetzt. Im Nationalsozialismus wurden unter anderem auch jüdische Anwält:innen als «Winkeladvokat:innen» bezeichnet, bevor ihnen 1938 die Berufstätigkeit verboten wurde.

Das von Jacob und Wilhelm Grimm begründete Deutsche Wörterbuch führt eine lange Liste von Bezeichnungen an, die mit «Winkel-» beginnen und häufig eine Abwertung anzeigen. Einige dieser Wörter sind schon 500 Jahre alt. So nannte etwa der Humanist und Zwingli-Freund Ulrich von Hutten (1488-1523) Leute, die ihn verleumdeten, «Winkelschelter und Speivögel». «Winkelschreiber» war um 1550 die Bezeichnung für eine:n Schreiber:in, die:der kein öffentliches Amt hatte und ihren:seinen Beruf daher ohne Lizenz ausübte.

In diese Kategorie der unseriösen Berufsleute mit mangelhaften Ausbildungen oder fehlenden Zulassungen gehören die:der «Winkeladvokat:in», ferner die:der Winkelagent:in, die:der Winkelärzt:in (schon 1571 für Quacksalber), die:der Winkelkonsulent:in etc. Andere alte Wortzusammensetzungen weisen auf dubioses verborgenes Treiben hin: Winkelehe, Winkelweib, Winkelhochzeit, Winkelkind. Oder auf anrüchige Orte: Winkelhaus, Winkelkneipe. Vor allem im 19. Jahrhundert wurde dann «Winkel-» sehr kreativ vor alles gestellt, das man als minderwertig betrachtete: Winkelschriftsteller:in, Winkelzeitung oder Winkelblatt, und der Philosoph Arthur Schopenhauer schimpfte über die Winkelnation und das Winkelvolk.

«Winkeladvokat:in» war also immer ein Schimpfwort; nie nannte sich ein:e Anwält:in selbst so. War damit ursprünglich die mangelnde Ausbildung gemeint, so erweiterte sich das Bild von der:vom «Winkeladvokat:in» auf den kleinen Rechtsanwalt, der mit Theatralik und Taschenspielertricks seine Mängel zu überspielen suchte. Daher ist er oft auch eine dankbare Figur für volkstümliche Komödien gewesen.

Dieses Negativbild einer:es Anwält:in wurde von deutschen Antisemit:innen, namentlich den Nationalsozialist:innen, gerne auf jüdische Anwält:innen projiziert. Denn einerseits entsprach die:der «Winkeladvokat:in» dem alten antisemitischen Klischee vom «durchtriebenen, hinterhältigen Juden», anderseits gab es relativ viele jüdische Rechtsanwält:innen: 1933 lag der Anteil der Jud:innen an der Bevölkerung in Deutschland bei 0,76 % – doch 16 % aller Rechtsanwält:innen in Deutschland waren Jud:innen. Das war unter allen Berufsgattungen der höchste Anteil (vor 15 % der Makler:innen und Kommissionär:innen, 13 % der Patentanwält:innen und 11 % der Ärzt:innen). Mit dem Anwaltszulassungsgesetz vom 7. April 1933 verlor ein Grossteil der jüdischen Anwält:innen ihre Zulassung; im Sommer 1933 wurde ihnen auch verboten, vor Gericht aufzutreten. 1935 erliess das NS-Regime das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz, das – erstmals in Deutschland – Vorschriften für die Rechtsberatung festlegte. Es richtete sich sowohl gegen ungeeignete Rechtsberater:innen («Winkelkonsulententum»), als auch gegen jüdische Anwält:innen. Diese Unterscheidung zeigt, dass selbst im Nationalsozialismus der Begriff «Winkeladvokat:in» nicht exklusiv auf Jud:innen angewandt wurde. Den noch verbliebenen jüdischen Anwält:innen wurde drei Jahre später mit der Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz (mit Wirkung vom 30. November 1938) ein endgültiges Berufsverbot auferlegt.

Auch heute noch wird der Begriff «Winkeladvokat:in» ab und zu verwendet, in der Regel als Qualifikation für eine:n unseriöse:n oder schlechte:n Anwält:in. Doch in rechtsradikalen deutschen Publikationen hat er – als Beschimpfung von jüdischen Jurist:innen – eine antisemitische Stossrichtung.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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13.12.2023

«Nicht bei uns! Gegen Rassismus und Antisemitismus»

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