Sonderbehandlung

Das Wort «Sonderbehandlung» war ein nationalsozialistischer Tarnbegriff für Mord. Der Begriff wurde zunächst von der SS, später auch von zivilen Behörden verwendet.

In einem Schreiben vom 20. September 1939, das der Chef der Sicherheitspolizei (SiPo) und des Sicherheitsdienstes (SD) Reinhard Heydrich an alle Staatspolizeistellen sandte, wird der Begriff «Sonderbehandlung» nach heutigem Wissensstand zum ersten Mal erwähnt. Heydrich forderte die Polizeistellen auf, hart gegen deutsche Reichsbürger:innen anzugehen, welche «die Kampfkraft des Deutschen Volkes zersetzen». Dabei seien Fälle «… zu unterscheiden zwischen solchen, die auf dem bisher üblichen Wege erledigt werden können und solchen, welche einer Sonderbehandlung zugeführt werden müssen. Im letzteren Falle handelt es sich um solche Sachverhalte, die hinsichtlich ihrer Verwerflichkeit, ihrer Gefährlichkeit oder ihrer propagandistischen Auswirkung geeignet sind, ohne Ansehung der Personen (nämlich durch Exekution) ausgemerzt zu werden». Dieses Zitat belegt als eines von vielen weiteren, dass «Sonderbehandlung» mit Exekution gleichzusetzen ist.

Zahlreiche Protokolle, Briefe und Zeugenaussagen in Untersuchungs- und Strafverfahren gegen NS-Verbrecher:innen bezeugen, dass das Wort in SS-Kreisen, aber auch in der Ministerialbürokratie geläufig war und allen Involvierten klar war, was es bedeutete. Der SS-Gruppenführer und Höhere SS- und Polizeiführer Emil Mazuw sagte in seinem Prozess 1951: «Sonderbehandlung war mit „liquidieren“ gleichzusetzen. Ich habe auch keine Aufklärung über diesen Begriff in Neu-Sandez meinen Untergebenen geben brauchen. Er war allgemein bekannt…» Und in den Auschwitzprozessen (1963-65) sagte der Hauptangeklagte Robert Mulka, Adjutant des Lagerkommandanten Rudolf Höss: «Den Begriff „Sonderbehandlung“(SB) kannte ich. „Sonderbehandlung“ war Mord».

1943 war das Wort offenbar so verbreitet, dass es seine Funktion als Tarnbegriff weitgehend verloren hatte. Richard Korherr, Leiter der Statistischen Abteilung im SS-Hauptamt, verfasste auf Wunsch Himmlers einen Bericht über die «Endlösung der europäischen Judenfrage». Himmler schrieb, er halte diesen Bericht als «Material für spätere Zeiten, und zwar zu Tarnungszwecken für recht gut. Im Augenblick darf er weder veröffentlicht noch weitergegeben werden» und liess am selben Tag Korherr mitteilen: «Der Reichsführer-SS hat Ihren statistischen Bericht über die Endlösung der europäischen Judenfrage erhalten. Er wünscht, dass an keiner Stelle von Sonderbehandlung der Juden gesprochen wird.» Allerdings wurde der Begriff in zahlreichen Dokumenten noch bis 1945 verwendet.

In engem Zusammenhang mit «Sonderbehandlung» wiesen auch die Begriffe «Sonderkommando», «Sonderzüge», «Sondereinsatzkommando», «Sonderunterbringung» und «Aussonderung» im Vokabular der Nazis auf Vorgänge der Massentötungen hin.

Das Wort «Sonderbehandlung» ist durch seine Verwendung für Exekutionen und Massentötungen im Nationalsozialismus geprägt. Es kann heute nicht mehr als harmloser und neutraler Begriff gebraucht werden.

Siehe auch das Stichwort Endlösung.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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10.04.2024

Diskriminierungsbericht 2023

Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

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Medienmitteilung Diskriminierungsbericht 2023

 

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