Weltjudentum

Der Begriff «Weltjudentum» beruht auf der Annahme, es gäbe eine weltweite Führung aller Jud:innen und suggeriert eine von bösen Absichten getragene einheitliche «Weltjudengemeinde», die sich gegen die nichtjüdische Welt verschwört. Zwar gibt es weltweite jüdische Organisationen, ein «Weltjudentum» aber existiert nicht.

Die Idee einer jüdischen Verschwörung gegen die Christenheit über alle Grenzen hinweg gab es bereits im Mittelalter. Die Anklagen der Brunnenvergiftung, der Ritualmorde und des Hostienfrevels unterstellten jüdischen Personen, sie wollten Christ:innen schädigen und stünden mit dem Teufel im Pakt. Der im 19. Jahrhundert aufkommende Mythos der jüdischen Weltverschwörung entwarf neue, moderne Bedrohungsszenarien und machte ein vermeintliches «Weltjudentum» für diese Bedrohungen verantwortlich. Emanzipation, Industrialisierung und Urbanisierung hatten vielen Jud:innen in Europa ein neues Auskommen im Handel und in den freien Berufen ermöglicht. Sie wurden sichtbarer in der nichtjüdischen Gesellschaft; unterstützt und angestachelt von antisemitischen Parteien und Vereinen liessen viele Menschen ihren Unmut über die neuen Entwicklungen an den Jud:innen aus und machten diese für ihre Existenzängste verantwortlich. Zudem sorgten im Zeitalter des Nationalismus die übernationalen familiären, wirtschaftlichen und religiösen Netzwerke der jüdischen Gemeinschaften für grosses Misstrauen. Auch andere über nationale Grenzen hinweg reichende religiöse und soziale Vereinigungen, wie die Zeugen Jehovas und die Jesuit:innen oder die Freimaurerlogen, waren von diesem Misstrauen betroffen. Im Falle der Jud:innen konnte sich das Konstrukt der Weltverschwörung aber auf alte und tief verwurzelte Vorurteile stützen und war daher in weiten Kreisen verbreitet.

Im antisemitischen Machwerk «Die Protokolle der Weisen von Zion» (erstmals 1903 in Russland publiziert) wurde den Jud:innen unterstellt, sie wollten die Weltherrschaft übernehmen. Diese gefälschte Publikation wurde weltweit verbreitet und diente der Hetzpropaganda der Nazis als Grundlage in ihrem Kampf gegen das vermeintliche «Weltjudentum» und dessen Verschwörung gegen die Welt. Die Nazis verschrien das «Weltjudentum» als Urheber und Drahtzieher sowohl des Finanzkapitalismus als auch des Bolschewismus. Das Klischee einer jüdischen Weltverschwörung existiert bis heute in vielen Variationen. Immer wird dabei den Jud:innen nachgesagt, sie stünden im Dienste des Bösen und hätten eine immense Macht, deren Opfer das Gute und vor allem kleine (nichtjüdische) Leute werden.

Wer vom «Weltjudentum» spricht, führt meist internationale jüdische Organisationen zur Beweisführung an. Zu diesen zählen die 1843 in New York gegründete Loge B’nai Brith, die 1860 in Paris entstandene Alliance Israélite Universelle (AIU), die am 1. Zionistenkongress 1897 in Basel ins Leben gerufene Zionistische Weltorganisation (World Zionist Organization, WZO) und der 1936 in Genf als Dachorganisation jüdischer Vereinigungen gegründete Jüdische Weltkongress (World Jewish Congress, WJC). Diese Organisationen sind transparente Interessensvertretungen und sprechen für ihre Mitglieder. Weder sind sie eine offizielle Vertretung aller Jud:innen noch verfügen sie über jene geheimnisvolle Macht, die im Mittelpunkt des Klischees der jüdischen Weltverschwörung steht.

Siehe auch die Einträge AntijudaismusAntisemitismus und Protokolle der Weisen von Zion.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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10.04.2024

Diskriminierungsbericht 2023

Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

Diskriminierungsbericht 2023

Medienmitteilung Diskriminierungsbericht 2023

 

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