Euthanasie / Gnadentod

Über Euthanasie (griechisch für «schöner Tod») wurde bereits um 1920 als Möglichkeit zur «Vernichtung lebensunwerten Lebens» diskutiert. Die Nationalsozialist:innen setzen diese Idee 1939 in die Tat um: Ärzt:innen töteten unheilbar geistig und psychisch Kranke mit Gas und Gift-Injektionen. «Gnadentod» nannte Hitler dies. 1941 wurde das Programm nach öffentlichen Protesten gestoppt; ungefähr 100’000 Kranke waren ihm zum Opfer gefallen.

Über die Frage der Euthanasie wurde im antiken Griechenland kontrovers diskutiert. Während Platon (ca. 427-347 v. Chr.) und andere Philosophen den «schönen» oder «leichten Tod» (Euthanasia) für Neugeborene mit Behinderungen und Erwachsene mit körperlichen Behinderungen (mit deren Einverständnis) empfahlen, verbot der Eid des Hippokrates (um 400 v. Chr.) die Beihilfe von Ärzt:innen an Tötungen. Für die monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam sind Lebensbeginn und -ende von Gott bestimmt; der Glaube verbietet also die Euthanasie.

Erst mit der Säkularisierung und den Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts kam in Europa wieder die Idee der Euthanasie auf. Die Vererbungslehre führte zu Rassentheorien, Sozialdarwinismus und zur Eugenik (Lehre von den «guten Erbanlagen»). Es waren oft «fortschrittliche», sozialreformerische Personen, welche die Eugenik forderten; in der Schweiz war der Psychiater Auguste Forel (1848-1931) ein prominenter Vertreter dieser Lehre. Unter Psychiater:innen war bis weit ins 20. Jahrhundert die vorherrschende Meinung, «Geisteskranke und Geistesschwache» müssten durch Zwangssterilisation an der Fortpflanzung gehindert werden. Dies war auch in der Schweiz Praxis. Von der Vorstellung, bessere Menschen heranzuzüchten, war es nicht mehr sehr weit zur Idee, so genannt «unwertes Leben» auszulöschen. 1920 veröffentlichten der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche die Denkschrift «Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens», in der sie die Tötung von Menschen mit schwersten geistigen Behinderungen «aus Mitleid» forderten.

Die Nationalsozialist:innen setzten die bereits vorhandenen theoretischen Konzepte in die Praxis um. Am 14. Juli 1933 führten sie mit dem «Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses» die Zwangssterilisation ein und liessen etwa 200’000 Personen unfruchtbar machen. 1935 sprach Hitler davon, «Geisteskranke und Geistesschwache» töten zu lassen. Nach dem Überfall auf Polen schrieb Hitler am 1. September 1939 den Erlass, mit dem er seinen Leibarzt, den SS-Mann Karl Brandt, anwies, «die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranke bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.» Unter dem Decknamen «Aktion T 4» (benannt nach der Adresse der Zentrale an der Tiergartenstr. 4 in Berlin) begann die Erfassung von geistig und psychisch Kranken in Kliniken und Anstalten. Sie wurden in abgelegene Vernichtungsanstalten gebracht, wo sie von Ärzt:innen und Pflegepersonal mit Gas oder Gift-Injektionen getötet wurden. Trotz strenger Geheimhaltung entstand unter Angehörigen von Kranken immer mehr Unruhe, und es kam zu öffentlichen Protesten von Kirchenvertreter:innen beider Konfessionen. Darauf erteilte Hitler am 24. August 1941 Brandt den Befehl, die Aktion T 4 zu stoppen. Trotzdem fanden noch bis Kriegsende vereinzelte Euthanasie-Tötungen statt. Schätzungsweise 100’000 Personen wurden von den Nationalsozialist:innen unter dem Deckmantel «Gnadentod» ermordet.

Auch wegen der Erfahrung mit der NS-Euthanasie wurde 1948 von der UNO das Recht auf Leben als Artikel 3 in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen.

Siehe auch die Einträge Behinderte / InvalideRassismus und Nationalsozialismus.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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10.04.2024

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Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

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