Reichskristallnacht / Reichspogromnacht

Reichskristallnacht nannten die Nationalsozialist:innen ihren reichsweiten Pogrom in der Nacht vom 9. November 1938, bei dem die SA 1400 Synagogen anzündete, 8000 jüdische Geschäfte plünderte, 91 Jüd:innen tötete und etwa 30’000 jüdische Männer in Konzentrationslager deportierte. Die Nazis bezeichneten den Pogrom als «spontane» Reaktion auf die Erschiessung eines deutschen Diplomaten in Paris durch einen jungen deutsch-polnischen Juden.

Am 7. November 1938 schoss der 17-jährige deutsch-polnische Jude Herschel Grynszpan in Paris auf Ernst vom Rath, Legationssekretär der deutschen Botschaft. Grynszpan hatte kurz zuvor erfahren, dass seine Eltern von den nationalsozialistischen Behörden aus Deutschland nach Polen deportiert worden waren. Bereits am 8. November 1938 kam es in Deutschland zu einzelnen Vergeltungsaktionen der Nationalsozialist:innen gegen jüdische Geschäfte.

Ernst vom Rath erlag seinen Verletzungen am 9. November 1938. Am gleichen Abend trafen sich die Gauleiter und Parteiführer der NSDAP wie jedes Jahr in München, um den Jahrestag des (gescheiterten) Hitlerputsches vom 9. November 1923 zu feiern. Aus aktuellem Anlass hielt Propagandaminister Joseph Goebbels eine Rede, in der er die Jud:innen pauschal für das Attentat verantwortlich machte. Er wies auf die ersten Übergriffe gegen Jud:innen hin und kündigte weitere Ausbrüche des «Volkszorns» an. Die Gauleiter verstanden das als Signal, wie Goebbels in seinem Tagebuch schrieb: «Alles saust gleich ans Telefon. Nun wird das Volk handeln. Einige Laumänner machten schlapp. Aber ich reisse immer wieder alles hoch.» Die Gauleiter wiesen ihre Untergebenen an, noch in der gleichen Nacht gegen die lokale jüdische Bevölkerung loszuschlagen. Vor allem die SA, die seit 1934 im Schatten der SS stand, sah hier eine Chance, sich wieder in Position zu bringen.

So wurde die Reichskristallnacht (oder kurz Kristallnacht), wie die Nationalsozialist:innen den Gewaltakt nannten, zum bisher grössten Pogrom, der kurz vor Mitternacht begann und 48 Stunden dauerte. SA-Leute und andere Nationalsozialist:innen (zur Tarnung erschienen die meisten in Zivil) im ganzen Deutschen Reich (inklusive dem angeschlossenen Österreich) brannten etwa 1400 Synagogen nieder. Die Feuerwehr durfte nur dafür sorgen, dass die Flammen nicht auf andere, nichtjüdische Gebäude übergriffen. Über 8000 Läden und Kaufhäuser, die Jud:innen gehörten, wurden verwüstet und geplündert. Jüdische Familien wurden aus ihren Wohnungen gezerrt und durch die Strassen gejagt. Nach offiziellen Angaben kamen dabei 91 Jud:innen um; die wirkliche Anzahl der Toten lag aber höher. SA und Polizei verhafteten gegen 30’000 jüdische Männer und verschleppten sie in die Konzentrationslager Buchenwald (bei Weimar), Dachau (bei München) und Sachsenhausen (Oranienburg bei Berlin). Erst nach der schriftlichen Selbstverpflichtung, aus Deutschland auszuwandern, kamen sie wieder frei.

Am 12. November erliess das NS-Regime drei neue Verordnungen gegen die Jud:innen: Sie hatten an das Deutsche Reich eine «Sühneleistung» von 1 Milliarde Reichsmark zu zahlen, sie mussten «zur Wiederherstellung des Strassenbildes» alle Schäden an jüdischen Geschäften «sofort beseitigen», und mit der «Verordnung zur Ausschaltung der Jud:innen aus dem deutschen Wirtschaftsleben» wurde ihnen ab dem 1. Januar 1939 das selbständige Führen von Geschäfts- und Handwerksbetrieben verboten. Mit der Reichskristallnacht – die, um den Nazi-Ausdruck zu vermeiden, heute auch Reichspogromnacht genannt wird – begann die vollständige Verdrängung der Jud:innen aus der deutschen Gesellschaft. Dies war die Vorstufe, welche den nationalsozialistischen Völkermord an den Jud:innen erleichterte.

Siehe auch die Einträge PogromNationalsozialismusEndlösung und Genozid/Völkermord.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

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