Entartung / Entartete Kunst

Für die Nationalsozialist:innen war «entartete Kunst» ein Kampfbegriff, mit dem sie die moderne Kunst verboten und konfiszierten. «Entarten» im Sinne von «seine Art oder Natur verlieren» wurde bereits im 18. Jahrhundert auch kulturkritisch gebraucht. Mit dem Sozialdarwinismus des 19. Jahrhunderts bekam der Begriff «Entartung» zusätzlich eine psychiatrische und rassenhygienische Bedeutung.

«Entarten» bedeutet «seine Art oder Natur zu verlieren», und zwar stets hin zum Schlechteren. So lässt Friedrich Schiller (1759-1805) in «Die Räuber» (1781) seinen Franz Moor zu Amalia sagen: «Und wie kannst du noch zweifeln, Amalia, wenn unsere Liebe in einer Vollkommenheit zusammentraf, und wenn die Liebe die nämliche ist, wie könnten ihre Kinder entarten?» (1. Akt, 3. Szene). Friedrich Schlegel (1772-1829) braucht in seinem Aufsatz «Über das Studium der griechischen Poesie» (1797) «entartet» mehrfach in kulturkritischem Sinn: «Der entartete Geschmack hingegen wird der Wissenschaft seine eigene verkehrte Richtung mitteilen, statt dass er von ihr eine bessere empfangen sollte.» Und: «Die Rückkehr der entarteten Kunst zur echten, vom verderbten Geschmack zum richtigen scheint nur ein plötzlicher Sprung sein zu können (…).»

Lateinisches Synonym von «Entartung» ist der Begriff Degeneration, der in den sozialdarwinistischen Theorien des 19. Jahrhunderts auftaucht. Besonders der italienische Psychiater und Kriminologe Cesare Lombroso (1835-1909) hatte mit seinen Schriften zu Genie und Wahnsinn, Degeneration und Verbrechen grossen Einfluss. So auch auf den Arzt, Zionisten und Publizisten Max Nordau (1849-1923), der 1892/93 unter dem Titel «Entartung» eine zweibändige Abrechnung mit der zeitgenössischen Literatur veröffentlichte. «Entartung» war ein Hauptthema vieler Werke des deutschen Arztes Wilhelm Schallmayer (1857-1919), einem Begründer der Rassenhygiene in Deutschland. Zur «Verhütung der körperlichen Entartung» propagierte er die Eugenik, die «menschliche Zuchtwahl». Diese rassistische Anthropologie hatte auch in der Schweiz viele gelehrte Anhänger:innen, darunter die angesehenen Psychiater Auguste Forel (1848-1931) und Eugen Bleuler (1857-1939).

In der nationalsozialistischen Ideologie vereinigte der Begriff «Entartung» die kulturkritische und die rassistische Konzeption zu einem Kampfbegriff. Adolf Hitler warf in «Mein Kampf» (1925) der modernen Kunst vor, es handle sich bei ihr um «Erzeugnisse einer überhaupt nicht mehr künstlerischen, sondern vielmehr geistigen Entartung bis zur Geistlosigkeit». Als Beispiele dieses «Bolschewismus in der Kunst» nannte er Kubismus und Dadaismus und forderte eine staatliche Zensur: «Denn es ist Sache der Staatsleitung, zu verhindern, dass ein Volk dem geistigen Wahnsinn in die Arme getrieben wird.»

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung begann die Gleichschaltung der Kultur. 1937 wurde in München die Ausstellung «Entartete Kunst» eröffnet. Sie zeigte 650 Bilder und Plastiken der kubistischen, dadaistischen, expressionistischen und surrealistischen Kunst – Werke, die aus deutschen Museen und Sammlungen beschlagnahmt worden waren. Die Rechtsgrundlage dafür schuf der NS-Staat erst ein Jahr später, mit dem Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst (1938). Es bestand aus nur drei Paragraphen, darunter als § 2: «Die Einziehung ordnet der Führer und Reichskanzler an.» Rund 20’000 Kunstwerke entfernten die deutschen Behörden als «entartet» aus Museen, darunter sämtliche Werke von jüdischen Künstler:innen. Ein Teil der Werke wurde vernichtet, ein kleinerer Teil ins Ausland verkauft. So versteigerte die Luzerner Galerie Fischer am 30. Juni 1939 solche «Gemälde und Plastiken moderner Meister aus deutschen Museen».

Der Begriff «entartet» ist bis heute durch den Nationalsozialismus belastet geblieben.

Siehe auch die Einträge NationalsozialismusRassismus und Antisemitismus.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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