Diskriminierungs-Strafnorm

Weitere Begriffe zum Thema Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten:

Der Artikel 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches bedroht bestimmte Formen der Diskriminierung mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe. Unter Strafe gestellt wird das öffentliche Aufrufen zu Hass oder Diskriminierung gegen eine Person oder eine Personengruppe wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion oder sexuellen Orientierung.

Seit dem 1. Januar 1995 ist der Art. 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches in Kraft, der sich gegen Diskriminierungen richtet. Mit der Einführung dieser Strafnorm machte die Schweiz den Weg frei, um als 130. Staat dem UNO-Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung beitreten zu können. Erste Vorstösse im Nationalrat forderten schon 1971 den Beitritt zur UNO-Konvention, der bereits damals vom Bundesrat gewünscht wurde. Doch bis zur entsprechenden Anpassung des Strafgesetzbuches dauerte es lange. Und nachdem eine Mehrheit der eidgenössischen Räte dem Art. 261bis StGB zugestimmt hatte, ergriff ein rechtsbürgerliches Komitee das Referendum dagegen. In der Volksabstimmung vom 25. September 1994 nahmen 54,6 Prozent der Stimmenden die Diskriminierungs-Strafnorm an; 13 konservative Kantone und Halbkantone sagten Nein.

Der Wortlaut der Strafnorm ist:

Art. 261bis Diskriminierung und Aufruf zu Hass

«Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder Diskriminierung aufruft,
wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung dieser Personen oder Personengruppen gerichtet sind,
wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,
wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung verweigert,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
»

Die Strafnorm richtet sich einerseits gegen Diskriminierungen, die eine Person oder eine Bevölkerungsgruppe wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion oder sexuellen Orientierung herabsetzten, und andererseits gegen das Leugnen von Völkermorden. Bei diesem Tatbestandsmerkmal dachte der Gesetzgeber vor allem an jene rechtsradikalen Kreise, die den Völkermord der Nationalsozialist:innen an den europäischen Jud:innen leugnen. Doch auch das Andenken an andere Genozide ist durch die Strafnorm geschützt.

Ein Strafverfahren hat besonderes Aufsehen erregt: Der türkische Nationalist Dogu Perinçek hatte 2005 an Vorträgen in der Schweiz mehrfach den Genozid an der armenischen Bevölkerung 1915 in der Türkei als «internationale Lüge» bezeichnet. Deswegen verurteilte das Bundesgericht Perinçek am 12. Dezember 2007 wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass (Leugnung des Völkermords an den Armenier:innen) zu einer Busse und zu einer Genugtuung von 1000 Franken an die armenische Klägerschaft. Gegen dieses Urteil legte Perinçek Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Die Schweiz verletze mit dem Urteil seine Meinungsäusserungsfreiheit, begründete Perinçek seine Beschwerde. Der EGMR hiess am 17. Dezember 2013 diese Beschwerde mit fünf gegen zwei Richterstimmen gut. Perinçeks Äusserungen seien nicht als Missbrauch der Meinungsäusserungsfreiheit anzusehen. Er leugne nicht die Massaker an den Armenier:innen um 1915, sondern bestreite nur, dass dies ein Völkermord gewesen sei. Damit aber schüre Perinçek nicht Hass auf das armenische Volk. Der EGMR stellte fest, dass es international keinen Konsens darüber gebe, ob die Massenmorde an den Armenier:innen als Völkermord zu werten seien. Das unterscheide diese Gewalttaten vom Holocaust, der einhellig als Genozid an den europäischen Jud:innen anerkannt sei. Auch Staaten, die die Verfolgung der Armenier:innen als Genozid anerkannt hätten, machten diesen Unterschied, indem sie die Leugnung dieses Genozids nicht bestraften. Zwei EGMR-Richter:innen waren anderer Meinung: Sie erklärten, es gebe durchaus einen internationalen Konsens, die Verfolgung der Armenier:innen als Genozid zu bezeichnen.

Der Bundesrat entschied sich 2014, den Fall Perinçek an die Grosse Kammer des EGMR weiterzuziehen, weil es sich um eine schwerwiegende Frage handle. Der Ausschuss der Grossen Kammer bewilligte – was selten geschieht – den Weiterzug des Urteils an die zweite Instanz.

Im Oktober 2015 bestätigte die Grosse Kammer des EGMR das Urteil vom 17. Dezember 2013; nämlich dass die Verurteilung des türkischen Staatsangehörigen Perinçek in der Schweiz, gestützt auf Art. 261 bis StGB, gegen die Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 EMRK verstosse. In Gesamtwürdigung der Äusserungen des Verurteilten erwog die Kammer, es sei darin kein Aufruf zu Hass, Gewalt oder Intoleranz gegen die Armenier:innen zu erkennen.

Die Diskriminierungs-Strafnorm verfolgt nicht die diskriminierende Gesinnung eines Menschen, sondern nur deren öffentliche Verbreitung. Wie das Bundesgericht im Mai 2004 feststellte, ist auch ein die SS verherrlichender Vortrag vor einer geschlossenen Gesellschaft von Skinheads öffentlich im Sinne des Gesetzes: «Art. 261bis StGB will gerade auch verhindern, dass sich rassistisches Gedankengut in Zirkeln, die ihm zuneigen, weiter verfestigt und ausweitet.»

In den ersten 19 Jahren der Diskriminierungs-Strafnorm (Stand 2013) sind gemäss der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus bei den Behörden 664 Anzeigen wegen Rassendiskriminierung eingegangen. In 263 dieser Fälle (40%) wurde das Verfahren gar nicht erst eröffnet oder kurz darauf eingestellt. Die übrigen 401 Verfahren (60%) endeten mit einem Gerichtsurteil: Dabei gab es 336 Verurteilungen (86%) wegen Rassendiskriminierung und 54 Freisprüche (14%). Unter den Opfergruppen waren Jud:innen am häufigsten betroffen (27% der Anzeigen; 123 Verurteilungen von Täter:innen), gefolgt von Ausländer:innen verschiedener Herkunft (23% der Anzeigen, 88 Verurteilungen von Täter:innen) und People of Color (16% der Anzeigen, 56 Verurteilungen von Täter:innen). Dass von Muslim:as nur 27 Anzeigen (4%) und 12 Schuldsprüche von Täter:innen registriert wurden, zeigt, dass die Statistik der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus stark davon beeinflusst wird, ob sich ein Opfer diskriminierender Angriffe wehrt, indem es Anzeige erstattet.

Eine entschiedene Gegnerin der Diskriminierungs-Strafnorm ist die Schweizerische Volkspartei (SVP). Wiederholt hat sie im National- und im Ständerat die ersatzlose Streichung dieser Strafgesetzesnorm gefordert. Zuletzt geschah dies im März 2014 mit einer Motion im Nationalrat. Alle früheren Vorstösse dieser Art aber hatten die Räte abgelehnt, ebenso wie ein anderes Dauerthema der SVP, die Auflösung der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus.

Siehe auch die Stichworte RassismusRasse und Genozid.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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