Die Strafnorm durchsetzen
20.04.2017

WAS LÄUFT FALSCH?

Von Pascal Pernet

Wie sollen die Behörden reagieren, wenn Neonazis ein Konzert veranstalten? In der Schweiz lautet die Antwort je nach Kanton unterschiedlich. Das angeblich grösste Neonazi-Konzert in Europa seit Jahrzehnten fand letzten Herbst im Toggenburg statt. Die St. Galler Behörden gaben sich dabei betont gelassen, frei nach dem Motto: Alles halb so schlimm. Der Polizeisprecher betonte in seiner ersten Reaktion denn auch, die Parkplatzordnung sei eingehalten worden und die Besucher hätten sogar den Abfall weggeräumt.

Aber die Bagatellisierung solcher Anlässe ist die falsche Strategie, denn dadurch positioniert sich die Schweiz – oder eben der Kanton St. Gallen – als attraktiver Standort für solche dumpfen Veranstaltungen, und daran hat wohl niemand ein Interesse. Die damalige Reaktion der St. Galler Behörden lässt denn auch auf einen krassen Mangel an Sensibilität oder gar auf ein stümperhaftes Vorgehen schliessen.

Nach der Strafanzeige der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus war vereinzelt der Vorwurf zu hören, hier würde versucht, Gesinnung unter Strafe zu stellen. Das ist natürlich nicht der Fall, und dass sich ein Erster Staatsanwalt während eines laufenden Verfahrens öffentlich so äussert, ist gelinde gesagt bedenklich. Auch wir von der GRA wissen die Meinungsäusserungsfreiheit zu schätzen und sind uns sehr wohl bewusst, dass Straftaten nur dann rechtliche Konsequenzen haben, wenn sie auch begangen wurden. Die Güterabwägung zwischen präventivem Verbot eines Anlasses auf der Basis der öffentlichen Sicherheit auf der einen Seite und der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit auf der anderen Seite ist schwierig, und präventive Verbote sollten die Ausnahme bleiben.

Besonders interessant ist denn auch, dass ausgerechnet die St. Galler Behörden ein zweites Neonazi-Konzert, das Mitte Januar im Kanton Luzern stattfand, präventiv verboten hatten. Zwar ist es wohl einer Mehrheit der Bevölkerung lieber, wenn grundsätzlich keine Neonazi-Konzerte stattfinden. Aber solche Anlässe auf Basis der Polizeigeneralklausel generell zu verbieten, kann aus liberaler Sicht keine Strategie, sondern nur eine Notlösung sein.

Die GRA wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, dass bei Veranstaltungen der Neonazi-Szene das Möglichste gemacht wird, um Straftaten im Allgemeinen und insbesondere Verstösse gegen die Rassismusstrafnorm gemäss Art. 261bis StGB zu ahnden. Die Luzerner Behörden scheinen unlängst eine gute Balance gefunden zu haben: Man sah zwar keinen Anlass, ein Konzert präventiv abzusagen oder aufzulösen, aber die Polizei zeigte Präsenz und machte Personenkontrollen.

Offensichtlich wurden auch Einreiseverbote für ausländische Neonazis durchgesetzt. In Zukunft könnten Bewilligungen für solche Veranstaltungen auch mit der Auflage verknüpft werden, dass auswertbare Ton- und Bildaufnahmen gemacht werden oder dass sich Polizeibeamte zur Beobachtung unmittelbar am Veranstaltungsort befinden. Denn auch wenn «Abhitlern» unter Gleichgesinnten – sofern bei 5000 Teilnehmern überhaupt von übereinstimmender Gesinnung ausgegangen werden kann – in der Schweiz nicht strafbar ist, so ist es von zentraler Bedeutung, die Ahndung von Gesetzesverstössen gegen die Rassismusstrafnorm durchzusetzen.

Und von den Behörden darf erwartet werden, dass sie diese Strafnorm genauso ernst nehmen wie die Parkplatzverordnung in Unterwasser.

Der Beitrag von Pascal Pernet erschien am 21. Februar 2017 als Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)

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10.04.2024

Diskriminierungsbericht 2023

Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

Diskriminierungsbericht 2023

Medienmitteilung Diskriminierungsbericht 2023

 

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