Interview mit Pascal Pernet
20.04.2017

Von Shay Karger

 

Pascal, Du bist seit bald 10 Jahren im Stiftungsrat der GRA. Was hat Dich seinerzeit zu diesem Engagement geführt?

Das Erfolgsmodell Schweiz beruht darauf, dass man sich aktiv für seine Anliegen einsetzt! Als Schüler und Student war ich politisch aktiv, aber im Laufe der Zeit wurde mir bewusst, dass der Einsatz für ein konkretes Anliegen (für mich) erstrebenswerter ist: Man kann direkt mitreden und sich die politische Ochsentour ersparen. 

Die Anliegen der GRA sind zudem – leider – hochaktuell. Vereinfacht gesagt hat die wirtschaftliche Krise ab 2008/2009 dazu geführt, dass jene, welche sich als Verlierer der sogenannten Globalisierung fühlen, verstärkt zu Wort melden. Politisch äussert sich das in einer Stärkung jener Parteien, welche sich nach innen orientieren und auf nationale Werte berufen. Und als Folge davon sind sie auf einmal wieder da, die vermeintlich überwundenen Vorurteile gegenüber den „Anderen“!

Ich persönlich finde diese Entwicklung besorgniserregend und möchte mich entschieden dagegenstellen. Nicht zuletzt auch als jüdischer Familienvater sehe ich mich da in der Pflicht, mich aktiv gegen Vorurteile und Diskriminierung einzusetzen.

 

Kannst Du eine Entwicklung in der Schweiz bezüglich der Erscheinungsformen von Rassismus und Antisemitismus ausmachen?

Nehmen wir das Beispiel Antisemitismus: es wurde in der Vergangenheit schon zig-fach untersucht, welcher Anteil der Bevölkerung antisemitischen Vorurteilen zustimmt und die entsprechenden Zahlen sind erschreckend stabil, sie liegen ungefähr bei 25% der Bevölkerung. Aus meiner Sicht sind die meisten Schweizer sehr offen und tolerant. Aber trotzdem ist es erstaunlich, dass ungefähr 2 Millionen Leute in diesem Land antisemitischen Vorurteilen zustimmen. Die jüdische Bevölkerung beträgt ja nicht einmal 20’000 Personen. 

Persönlich habe ich den Eindruck, dass die vorher erwähnte politische Entwicklung zu einer schleichenden Verschiebung dessen führt, was gerade noch gesagt werden darf. Dagegen müssen wir uns unbedingt wehren! Denn wie auch dem jährlichen Antisemitismusbericht von SIG und GRA entnommen werden kann: Die Anzahl Vorfälle ist zwar stabil geblieben, aber die „gefühlte“ Bedrohungslage hat sich verschlechtert.

 

Welche Themenschwerpunkte möchte die GRA für die nächsten Jahre setzen?

Neben den laufenden Projekten haben wir im Stiftungsrat beschlossen, in den nächsten Monaten zwei neue Themen anzugehen. 

Einerseits möchten wir uns um „Hassrede im Internet“ kümmern. Die Kommunikation verlagert sich immer mehr in die sozialen Medien und es ist wichtig, Klarheit zu gewinnen, was das bedeutet und wie man sich unter Umständen dagegen wehren kann. Ich weiss noch nicht genau, zu welchem Resultat dieses Projekt führen wird, aber in einem ersten Schritt möchten wir einen Leitfaden für Betroffene entwickeln. 

Einen zweiten Schwerpunkt möchten wir bei der Frage des „importierten Antisemitismus“ setzen. Es wird oft gesagt und scheint auf den ersten Blick auch logisch, dass Migranten auf ihrem Weg nach Europa auch ihre Vorurteile mitbringen, so zum Beispiel eben antisemitische Vorurteile. Wir möchten das Thema vorsichtig angehen und zuerst untersuchen, ob diese These stimmt. Falls dem so ist, gilt es das Problem konkret anzugehen.

 

Antisemitismus wird oft auch über den Nahostkonflikt respektive Israel ausgelebt. Wo siehst Du hier das grösste Gefahrenpotential?

Israelkritik ist oft kaschierter Antisemitismus, vor allem dann, wenn absolute und nicht belegbare Aussagen gemacht werden. Dazu ein konkretes Beispiel: Ich war vor kurzem an einem geschäftlichen Anlass und dabei kamen wir auf die Anschläge des 11. September 2001 zu sprechen. Ein Kollege, den ich bisher eigentlich schätzte, meinte dann, das sei doch alles von Israel organisiert worden. Da war ich wirklich baff – wie kann man als einigermassen aufgeklärter Mensch nur einen solchen Blödsinn erzählen? Aber es verdeutlicht: Wir laufen auf dünnem Eis und Israelkritik und Antisemitismus sind allzu oft deckungsgleich.

 

Schliesslich, wo soll die GRA in einigen Jahren stehen?

Wir verfolgen das Ziel, die GRA auch in Zukunft als glaubwürdige Instanz in Fragen der Rassismus- und Antisemitismusprävention zu positionieren. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass wir äusserst professionell arbeiten, denn die Glaubwürdigkeit der GRA ist ihr höchstes Gut! Was zukünftige Projekte betrifft, so wollen wir uns dort einbringen, wo wir tatsächlich auch etwas zu sagen haben: Wir wollen uns also selektiv äussern, aber wenn wir es tun, dann haben wir einen thematischen Führungsanspruch.

Letztlich kommt es auf die Leute an. Die GRA wird von langjährigen, loyalen Mitgliedern getragen, die uns sehr grosszügig unterstützen. Ihnen sind wir zu grossem Dank verpflichtet, denn ihre Unterstützung macht die Arbeit der Stiftung erst möglich! Weiter haben wir einen tollen Stiftungsrat, in dem sich alle Mitglieder selbstlos und mit grossem Einsatz für die Anliegen der Stiftung einsetzen. Und das Tagesgeschäft wird von der Geschäftsstelle souverän bewältigt – wir sind also ein eingespieltes Team und meines Erachtens sehr gut aufgestellt, um die zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen. 

Das Interview führte Shay Karger, Praktikant bei der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus

 

 

Pascal Pernet, GRA Stiftungsratspräsident seit 2017
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10.04.2024

Diskriminierungsbericht 2023

Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

Diskriminierungsbericht 2023

Medienmitteilung Diskriminierungsbericht 2023

 

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