Rassismusbericht 2020

Analyse und Erläuterung zu Diskriminierungsfällen

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1. Vorwort

2020 war geprägt von der Covid19-Pandemie: die grösste Krise der Nachkriegszeit hat unzählige Menschen physisch, wirtschaftlich und psychisch hart getroffen, auch in der Schweiz. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen – so kennen wir es aus der Geschichte – liefern oft einen Nährboden für Hetze gegen Minderheiten. So wurde im letzten Jahr die Corona-Krise zeitweise auch für parteipolitische Interessen missbraucht: Menschen mit Migrationshintergrund wurden zu Sündenböcken, als einige Medien und Politiker berichteten, die meisten Spitalbetten seien «von Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund» besetzt. Vermehrt gab es auch Vorfälle von fremdenfeindlichen Aussagen gegenüber eingebürgerten Schweizerinnen und Schweizern innerhalb der Politik, obwohl die Unterscheidung zwischen eingebürgerten Schweizern und solchen, die den Schweizer Pass seit Geburt besitzen, sowohl rechtlich wie auch gesellschaftspolitisch irrelevant ist.

«Gerade in Krisenzeiten neigen Menschen dazu, einen Schuldigen zu suchen und sind so auch empfänglicher für Verschwörungsfantasien.»

Gerade in Krisenzeiten neigen Menschen dazu, einen Schuldigen zu suchen und sind so auch empfänglicher für Verschwörungsfantasien. Denn diese liefern scheinbar einfache Antworten (und vermeintlich Schuldige) auf komplexe Ereignisse des Weltgeschehens. So erstaunt es wenig, wie im Laufe der Pandemie neue Verschwörungsmythen auf uralte Stereotype zurückgreifen und diese wieder salonfähig machen. Diese Entwicklung ist bedenklich: denn laut einer aktuellen Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) waren bereits vor Corona bis zu 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung empfänglich für Verschwörungsfantasien. Problematisch dabei ist, dass Verschwörungstheorien ein Einfallstor für Radikalisierungen sein können.

Oftmals enthalten Verschwörungsfantasien auch antisemitische Narrative. Auch diese waren 2020 wieder verstärkt im Umlauf (mehr dazu im Kapitel «Antisemitismus»). Bewegungen wie QAnon aus den USA, welche abstruse Erzählungen über eine angebliche «geheime Elite» verbreitet, die kleine Kinder versklavten und deren Blut tränken, vermischen sich mit klassisch antisemitischen Legenden wie jene des Ritualmordes. Solche Bewegungen geniessen mittlerweile auch in der Schweiz eine wachsende und zunehmend radikale Anhängerschaft.

Zum diesjährigen GRA-Schwerpunkt «Verschwörungsfantasien» äussern sich nachfolgend die Kommunikationswissenschafterin Lisa Schwaiger und Nationalrat Cédric Wermuth. Lisa Schwaiger ist Assistentin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der Universität Zürich. Zudem ist sie am fög tätig – dem Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich. Cédric Wermuth setzt sich als Nationalrat und Co- Präsident der SP Schweiz aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsfantasien mit antisemitischem Narrativ ein.

Weiter war das Jahr 2020 geprägt durch den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd, welcher der «Black Lives Matter»- Bewegung weltweit Aufschwung verlieh und dem Thema auch in der Schweiz eine selten dagewesene Aufmerksamkeit schenkte. Mit der «Black Lives Matter»-Bewegung wurde auch hierzulande eine wichtige Debatte lanciert, wie unsere Gesellschaft mit Vorurteilen und rassistischer Diskriminierung umgeht und künftig umgehen soll. Dieses erhöhte öffentliche Interesse zieht automatisch mehr Sensibilität nach sich. Somit hatte auch die GRA- Chronologie der rassistischen Vorfälle mehr Einträge zu verzeichnen als in den letzten Jahren und mehr Menschen meldeten der GRA rassistische Vorfälle.

2. Rassismus in der Schweiz 2020

Die Chronologie der rassistischen Vorfälle, welche die GRA zusammen mit der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS) auf www.gra.ch/chronologie fortlaufend führt, registrierte 2020 insgesamt 62 rassistische oder antisemitische Vorfälle, die schweizweit von den Medien publiziert wurden.

Die Chronologie hat dabei keinerlei Anspruch auf statistische Vollständigkeit, deckt sie doch nur die in der Schweiz von den Medien publizierten rassistischen Vorfälle ab und beinhaltet nicht die Vorfälle, die der GRA direkt gemeldet werden (dazu mehr unter «Rassistische Meldungen»). In der Deutschschweiz werden rassistische Vorfälle neben der GRA auch von anderen Beratungsstellen wie zum Beispiel von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) gesammelt und ausgewertet (vgl. www.network-racism.ch und www.ekr.admin.ch).

Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer von rassistischen Vorfällen auch im Jahr 2020 hoch blieb. Die wenigstens Zwischenfälle werden den zuständigen Stellen gemeldet, geschweige denn Anzeige erstattet. Je mehr die Anlaufstellen (staatliche und private) öffentlich auf sich aufmerksam machen, desto höher ist jeweils auch die Zahl der Vorfälle, die gemeldet werden.

Dass die Anzahl Vorfälle in der Chronologie 2020 um einiges höher lag als in den vergangenen Jahren, hat unterschiedliche Gründe: Wie eingangs erwähnt dürfte die «Black Lives Matter»-Bewegung eine Rolle spielen, die auch die Schweiz erfasste und mehr Menschen für Alltagsrassismus sensibilisierte und somit auch mehr rassistische Vorfälle zutage brachte. Weiter erfasst die GRA- Chronologie seit Anfang 2020 auch Vorfälle, welche die LGBT-Community betrifft. 2020 wurde vom Stimmvolk einer Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm zugestimmt. Seit 2020 werden deshalb auch homophobe Äusserungen und Handlungen in die Chronologie der rassistischen Vorfälle aufgenommen. 2020 waren dies mehrere verbale Belästigungen, Bedrohungen und Tätlichkeiten gegen LGBT- Menschen auf offener Strasse.

«Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer von rassistischen Vorfällen auch im Jahr 2020 hoch blieb.»

Ausserdem haben die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Massnahmen Kritiker auf den Plan gerufen, die antisemitischen Narrativen nicht abgeneigt sind, was sich wiederum in der Chronologie niederschlug.

Rechtsradikalismus/Extremismus

Weltweit nehmen Rechtsextremismus und damit verbundene Anschläge zu. Seit 2014 haben sich die weltweiten rechtsextremen Gewalttaten mehr als verdoppelt. Obwohl es in der Schweiz in den letzten Jahren und auch 2020 keine schweren rechtsextremen Gewalttaten gab, ist die hiesige Szene aktiv und bestens vernetzt, wie auch Experten in der Schweiz bestätigen. Die Vernetzung findet vor allem mittels der Sozialen Netzwerke statt, durch welche die Mitglieder weltweit eine Community bilden können. Die Schweiz ist bezüglich Rechtsextremismus keine Insel und wichtiger Teil der globalen Vernetzung.

Nach vermehrten öffentlichen Auftritten in den Nullerjahren hat sich die Szene nun einerseits vermehrt ins Internet verlegt, tritt andererseits aber immer wieder punktuell auf, im vergangenen Jahr vor allem mit vereinzelten Auftritten in Zusammenhang mit Anti-Corona- Demonstrationen. Angesichts der Corona-Krise manifestieren sich rechtsextreme Gruppierungen vermehrt und mischen sich unter Corona-Skeptiker, in der Schweiz allerdings eher als einzelne Akteure – die Szene ist nicht mit Deutschland vergleichbar.

Dennoch bleibt die Anzahl Einträge in der Chronologie konstant hoch. Ansonsten wurden 2020 vor allem Chats mit antisemitischem Inhalt publik sowie Schmierereien/Sprayereien, eine Kleberaktion mit antisemitischem Inhalt sowie Videos von rechtsradikalen Splittergruppen, die sich in den Sozialen Medien u.a. bei Kampftrainings zeigen und dabei neonazistische Propaganda verbreiten.

«In der Schweiz agieren extremistische Gruppierungen im Vergleich zum Ausland eher im Verborgenen.»

In der Schweiz agieren extremistische Gruppierungen im Vergleich zum Ausland eher im Verborgenen oder manifestieren sich in den Sozialen Medien und versuchen von dort, Leute anzuwerben, anstatt über Gewalttaten. Wie Dirk Baier, Extremismusforscher an der ZHAW sagt,

ei davon auszugehen, dass gerade rechte Gruppierungen durch die Coronapandemie weltweit einen Zulauf verzeichneten. Dies aufgrund der kursierenden Verschwörungstheorien, die teils ein fremdenfeindliches Element enthielten: «Beispielsweise wird ein Bezug zu antisemitischen Narrativen hergestellt – was zum Weltbild des Rechtsextremismus passt.»

Wie der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in seinem Lagebericht bestätigt, wird in besagter Szene Kampfsport trainiert und es seien funktionstüchtige Waffen vorhanden. Das grösste Risiko für einen rechtsextrem motivierten Anschlag in der Schweiz geht nach Ansicht von Experten von allein handelnden Personen mit rechtsextremer Gesinnung, aber ohne feste Zugehörigkeit zu etablierten gewaltextremistischen Gruppierungen aus.

Antisemitismus

Wie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) in seinem Antisemitismusbericht 2020 schreibt, den er in Zusammenarbeit mit der GRA publiziert, blieb die Anzahl antisemitischer Vorfälle in der Schweiz stabil auf tiefem Niveau. Es gab keine Tätlichkeiten und lediglich eine gemeldete Sachbeschädigung. Allerdings sind diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen: Online – das heisst auf Sozialen Medien wie Facebook und Twitter oder auf Messengerdiensten wie Telegram – sind antisemitische Äusserungen weiterhin stark verbreitet.

Dass Antisemitismus in der Schweiz – ob online oder offline – einen direkten Einfluss auf das jüdische Leben in der Schweiz hat, zeigt eine diesen Sommer publizierte Studie der ZHAW, die in Zusammenarbeit mit der GRA entstanden ist. Laut der Studie wird Antisemitismus in der Schweiz von rund der Hälfte der Befragten als Problem wahrgenommen.

Was antisemitische Diskriminierung im Alltag angeht, berichteten 16,2 Prozent von mindestens einem Erlebnis in den letzten 12 Monaten. Besonders tragisch ist die Tatsache, dass knapp jeder Fünfte der Befragten angab, gewisse Orte und Veranstaltungen schon gemieden zu haben aus Angst vor einem antisemitischen Angriff. Den ganzen Bericht lesen Sie hier.

Anti-Schwarzen-Rassismus/«Black Lives Matter»

Weiterhin sind von rassistischen Vorfällen und Diskriminierung in der Schweiz vornehmlich Schwarze Menschen betroffen, sie erleben vor allem Beschimpfungen und sonstige verbale Attacken. 2020 wurden einige Fälle von Anti- Schwarzen-Rassismus bei Fussballspielen registriert; Spieler wurden ausgebuht, ausgepfiffen und verbal beleidigt. Zudem gab es Fälle von Alltagsrassismus durch Behörden oder öffentliche Dienstleister.

2020 hat die Black-Lives-Matter-Bewegung auch die Schweiz geprägt: Die sogenannte «Mohrenkopf»-Debatte über den angemessenen Gebrauch von diskriminierenden Begriffen warf im Sommer 2020 hohe Wellen und brachte die oftmals fehlende Sensibilität in der Mehrheitsgesellschaft dem Thema gegenüber zu Tage. Wie stark die Debatte die Schweiz geprägt hatte, zeigt auch die Statistik der GRA-Website. Über 43’000 Mal wurde der entsprechende Glossar-Eintrag angeklickt. Prominente dunkler Hautfarbe äusserten sich im Zuge der Debatte vermehrt öffentlich über ihre Rassismuserfahrungen in der Schweiz.

«Weiterhin sind von rassistischen Vorfällen und Diskriminierung in der Schweiz vornehmlich Schwarze Menschen betroffen.»

Auch Racial Profiling sollte in Zusammenhang mit der «Black Lives Matter»-Diskussion genannt werden. Racial Profiling ist ein auf Stereotypen und äusserlichen Merkmalen basierendes Agieren von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamten, nach dem eine Person anhand von Kriterien wie «Rasse», ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft als verdächtig eingeschätzt wird und nicht anhand von konkreten Verdachtsmomenten. Auch in der Schweiz war Racial Profiling im vergangenen Jahr immer wieder Thema in den Medien. Im letzten Herbst hat das Zürcher Verwaltungsgericht ein potenziell wegweisendes Urteil gefällt, als es einem dunkelhäutigen Mann Recht gab, der seit Jahren gegen eine unrechtmässig erfolgte Polizeikontrolle im Jahr 2015 kämpfte. Zwar schrieb das Gericht in seiner Urteilsbegründung «Polizeikontrollen dürfen nicht anlassfrei erfolgen», es versäumte aber, zum Vorwurf des Racial Profiling Stellung zu beziehen.

Die Frage, ob die Kontrolle einzig aufgrund der Hautfarbe erfolgte, blieb vom Gericht unbeantwortet, da die Beschwerde ohnehin vollumfänglich gutzuheissen sei. Tatsache bleibt, dass die Beratungsstellen für Rassismusopfer nach wie vor regelmässige Beschwerden wegen Racial Profiling melden. Gefordert wird jetzt von diesen Organisationen, dass eine unabhängige Beschwerdestelle für die Opfer von Racial Profiling geschaffen und vermehrt Aufklärungsarbeit während der Polizeiaus- und weiterbildung getätigt wird.

Islamophobie

2020 kam es, wie auch in den Jahren zuvor, punktuell zu antimuslimischen Vorfällen, die vor allem Frauen mit Hijab oder Kopftuch betrafen; zu nennen sind hier verbale Beleidigungen oder Diskriminierungen bei der Stellensuche, wie u.a. der von den Medien aufgegriffene Fall einer jungen, in der Schweiz aufgewachsenen Frau, die trotz guter Schulnoten aufgrund ihres Kopftuches über Jahre keine Lehrstelle fand.

Rassistische Meldungen

Nebst den rassistischen Vorfällen, welche die Medien aufgriffen, gab es 2020 auch viele Fälle, welche der GRA direkt gemeldet wurden, sei es über die GRA-Website, per Email oder telefonisch. Dabei handelte es sich vor allem um Diskriminierungen bei der Stellen- oder Lehrstellensuche, rassistische Beschimpfungen unter Nachbarn oder auf der Strasse, im Internet und in Whatsapp-Chats.

Rassismus an Schulen

Bei den rassistischen Meldungen ist auch Rassismus an Schulen immer wieder ein Thema. Auch hier kamen mehrheitlich (Klassen-)Chats mit rassistischen oder antisemitischen Grenzüberschreitungen (Hitlerwitze und Hakenkreuze) vor, aber z.T. auch rassistisch motiviertes Mobbing. Da Rassismus und Antisemitismus an Schulen immer wieder vorkommt und auch bei anderen Meldestellen als ein zentraler Ort für Diskriminierung genannt wird, erarbeitet die GRA momentan ein neues Bildungsprojekt für Gymnasien. Dieses Bildungsangebot richtet sich an besonders engagierte Schülerinnen und Schüler, die sich vertieft mit den Themen Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzen wollen. Das erlernte Wissen wird dann zurück an die Schulen getragen, wo die Schülerinnen und Schüler gezielt bei rassistischen Vorfällen Hilfe leisten und proaktiv den Diskurs für eine tolerante und diskriminierungsfreie Schulkultur anregen können. Das Projekt wird vom Bund finanziell unterstützt und sollte im zweiten Halbjahr 2021 starten.

Hate Speech

Mit der Pandemie verlagerte sich ein Grossteil unseres Lebens ins Internet. Kaum erstaunlich, dass sich der Hass gegen Minderheit entsprechend auf diese Onlineplattformen verlagerte. In Chatgruppen wie Telegram werden antisemitische Narrative geteilt. Auch wenn diese Hassbotschaften von einem verhältnismässig kleinen Anteil befeuert werden, ist deren Publikum in diesen Gruppen mit teilweise über tausend Teilnehmenden relativ gross. Die Chancen, dass diese abstrusen Theorien auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft auf Gehör stossen, wächst somit.

Das sogenannte Zoom-Bombing ist ein weiterer Beleg dafür, wie die Pandemie neue Einfallstore für Hassbotschaften liefert.

«Das sogenannte Zoom-Bombing ist ein weiterer Beleg dafür, wie die Pandemie neue Einfallstore für Hassbotschaften liefert.»

Beim Zoom-Bombing werden Online-Meetings gestört und neben gewaltverherrlichenden Szenen oft auch antisemitische und rassistische Obszönitäten über die Lautsprecher und Bildschirme mit den völlig perplexen Teilnehmenden geteilt. Da die Hacker gut organisiert sind und in Gruppen vorgehen, ist der einzige Ausweg oftmals der Abbruch der Live- Übertragung. Dass es sich bei diesem Phänomen mehr als um blöde Lausbubenstreiche handelt, wurde spätestens klar, als das FBI im März eine offizielle Warnung herausgab. Auch in der Schweiz ist es bereits zu mehreren solcher Zoom- Attacken mit antisemitischem Hintergrund gekommen.

Aufgrund dieser neusten Entwicklungen und der zunehmenden Bedeutung von Hate Speech unterstützt die Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB deshalb in den kommenden Jahren schwerpunktmässig Projekte gegen Rassismus im Netz. Ziel ist es, die breite Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, Präventionsmassnahmen zu entwickeln und das Beratungs- und Interventionsnetz auszubauen und zu professionalisieren.

Schlussfolgerung

Krisen wie die Coronapandemie bergen die Gefahr, bereits bestehende Diskriminierungsdynamiken noch zu verstärken und die Schuld an der gegenwärtigen Krise einer bestimmten Minderheit anzulasten. In den vergangenen Monaten traten so zahlreiche rassistische, diskriminierende und beleidigende Aussagen gegenüber Minderheiten in der Schweiz zu Tage. Klar ist, der Ton in der öffentlichen Debatte – online und offline – blieb auch im vergangenen Jahr scharf.

Die Ereignisse im Jahr 2020 illustrierten zudem, dass in der Schweiz nach wie vor die Anerkennung fehlt, dass Rassismus auch bei uns existiert und sich nicht nur durch Extremfälle wie Rechtsradikalismus oder die Ermordungen von Schwarzen Menschen in den USA äussert. Rassismus hat viele Facetten und kommt auch im Alltag täglich vor. Diese Diskriminierung äussert sich durch schlechtere Chancen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt aufgrund des «falschen» Namens, der «falschen» Religion oder der «falschen» Hautfarbe, durch gedankenlose Bemerkungen oder durch Racial Profiling. Solange struktureller Rassismus als weitverbreitetes Phänomen in der Schweiz nicht breitflächig anerkannt wird, wird sich nichts ändern.

Zu dieser Einsicht gehört auch, dass althergebrachte Alltagsbegriffe, die diskriminierende Sprache fördern, überdenkt werden dürfen und eine Debatte darüber möglich sein muss. Unabdingbar bleiben weiterhin Prävention sowie Begegnungen und Sensibilisierung an Schulen, aber auch, wie es zum Beispiel die EKR fordert, eine Verschärfung der zivilrechtlichen Bestimmungen gegen Rassendiskriminierung und einen fairen Zugang zur Justiz für alle. Denn, wie die Historikerin Pamela Ohene-Nyako, sagt: «Ob bewusst, unbewusst, beabsichtigt oder unbeabsichtigt – Rassismus bleibt ungeachtet seiner Form und seines Ausdrucks Rassismus.»

3. Interview mit Cédric Wermuth

Antisemitische Verschwörungsfantasien und deren Dynamik in einer Welt in der Krise

Interview mit Cédric Wermuth, Nationalrat und Co-Präsident der SP Schweiz

Herr Wermuth, im Juni 2020 haben Sie eine Interpellation im Nationalrat eingereicht und den Bundesrat gefragt, wie er der Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien entgegenwirken will. Warum ist Ihnen dieses Thema ein Anliegen?

Die Auseinandersetzung mit Neonazi-Gruppen an meiner Schule hat mich vor über 20 Jahren erstmals so richtig politisiert. Seither setzte ich mich immer wieder mit der Szene auseinander. Sie hat sich stark verändert. Den klassischen Neonazi mit Springerstiefeln und Glatze gibt es so nur noch am Rand, aber viel vom rechtsextremen Gedankengut hat sich erschreckend tief in die Gesellschaft eingegraben. An der Uni durfte ich zu antisemitischen Verschwörungstheorien etwas vertiefter arbeiten, insbesondere zu den «Weisen von Zion». Das war so 2005 oder 2006. Social Media und Youtube etc. begannen gerade so langsam interessant zu werden. Ich weiss noch, wie es mir damals kalt den Rücken runter lief, als ich festgestellt habe, welche Kontinuität antisemitische Verschwörungsmythen bis heute haben – übrigens in allen gesellschaftlichen Kreisen. Das Thema hat mich nie mehr losgelassen. Durch die Geschichte zeigt sich, dass der Glaube an eine bösartige Weltverschwörung praktisch immer am Rande durch die Gesellschaft geistert. Und in Zeiten der Krise kann sich das schlagartig wie Feuer verbreiten, egal wie marginal die Gruppen vorher waren. Und es ist leider so: Auch wenn es überall in der Gesellschaft antisemitische Vorurteile gibt ‒ auch bei Linken ‒, sind es jedes Mal rechtsextreme Gruppen, der die Ideologie besonders anschlussfähig scheint. Richtig Angst habe ich, seit wir im Parlament kurz vor den letzten Wahlen eine Debatte zum Uno-Migrationspakt hatten und plötzlich Vertreter völlig vernünftiger bürgerlicher Parteien Thesen aus dem Dunstkreis der «Umvolkungstheorie» vertraten. Solche und ähnliche ‒ im Kern nichts anderes als die «modernisierte» Versionen einer jüdisch- bolschewistischen Weltverschwörung ‒ finden sich heute praktisch jeden zweiten Tag in Meinungsbeiträgen von ganz normalen Schweizer Tageszeitungen. Zum Beispiel, wenn man sich dort über die Dominanz des «Gender- Wahns» und der «Kulturmarxisten» beklagt. Das zeigt, wie tief das Problem in der Gesellschaft verankert ist.

Was kann die Politik unternehmen, um Verschwörungstheorien möglichst an ihrer Verbreitung zu hindern? Wo findet Prävention schon heute statt, wo und wie könnte sie verbessert werden?

Wichtig ist, dass man das ernst nimmt. Menschen, die an das glauben, was wir Verschwörungstheorien nennen, sind nicht verrückt. Klar gibt es auch individuelle Gründe, aber als Erklärung für die breite Bewegung, die wir heute sehen, reicht das nicht. Das Problem ist in der Mitte der Gesellschaft. Der Griff zu Verschwörungsmythen ist oft Ausdruck eines völlig richtigen Bedürfnisses, nämlich das eigene Schicksal beeinflussen zu können und es nicht von anonymen Kräften wie «den Finanzmärkten» diktieren zu lassen. In dem Sinne weisen uns Verschwörungsmythen immer auch auf eine Lücke in der Politik hin: Dann nämlich, wenn das politische System nicht in der Lage ist, legitime Kritik aufzunehmen. Das heisst, grundsätzlich muss demokratische Politik das tun, was man von ihr erwartet: Das Leben der Menschen verbessern. Dann gibt es die zweite, individuelle Ebene. Hier ist die Schweiz ‒ sorry ‒ein Entwicklungsland. Es gibt viel zu wenig Stellen, an die ich mich wenden kann, wenn Familienangehörige in den Sumpf solcher Mythen abrutschen. Daran müssen wir arbeiten.

Wie ernst nehmen Schweizer Politiker das Thema?

Ich würde gerne eine andere Antwort geben, aber leider überhaupt nicht. Obwohl gerade antisemitische Äusserungen und Übergriffe praktisch weltweit zunehmen, geschieht hierzulande nichts. Im Gegenteil, ausgerechnet die politische Rechte versucht den Antisemitismus als Kampfbegriff aufzunehmen, um gegen die muslimische Minderheit zu hetzen.

Was macht Verschwörungsmythen aus Ihrer Sicht so gefährlich?

Verschwörungsmythen sind selten völlig aus der Luft gegriffen. Sie bieten oft absurde Antworten auf reale Probleme. Es stimmt zum Beispiel zweifellos, dass die Finanzmärkte zu dominant geworden sind, aber es ist natürlich völliger Quatsch, dass dahinter der Plan des Weltjudentums steckt, um die Menschen zu unterwerfen. Es ist völlig richtig, dass private Stiftungen zu viel Einfluss auf die Politik der WHO haben und es stimmt auch, dass die Pharmaindustrie versagt hat, was die Vorbereitung auf die Pandemie angeht. Der Grund dafür ist aber kein Plan, die Menschheit mittels Computerchips zu steuern, sondern schlicht die Logik des profitorientierten Kapitalismus und der Austeritätspolitik nach der Finanzkrise. Wenn sich aber die Demokratie nicht gegen solche selbst verursachten Fehlentwicklungen behauptet, dann werden Verschwörungsmythen weiterwachsen. Und ich sehe gerade in einer Welt in der Krise leider viel negatives Potential.

Zur Person:
Cédric Wermuth ist Nationalrat und seit Oktober 2020 zusammen mit Mattea Meyer Co- Präsident der SP Schweiz. Er hat in Zürich Politikwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Philosophie studiert und lebt heute mit seiner Familie in Zofingen.

Interpellation von Cédric Wermuth
Im Juni 2020 reichte Cédric Wermuth eine Interpellation im Nationalrat ein, die sich mit Antisemitismus in Zusammenhang mit rechtsextremen Verschwörungstheorien befasst. Er stellte dabei unter anderem die Frage, welche Möglichkeiten der Bundesrat sieht, der Verbreitung solcher 
Verschwörungstheorien im Internet entgegen zu wirken und welche Verantwortung er insbesondere bei sozialen Plattformen wie Facebook, Youtube oder Twitter sieht. In seiner Antwort an Wermuth verwies der Bundesrat auf einen ausstehenden Bericht, den er beim Bundesamt für Kommunikation in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht soll die Rolle von Social-Media Plattformen im Bereich der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung, inklusiv des Themas Hassrede beleuchten und abklären, ob es Massnahmen braucht und gegebenenfalls Lösungsansätze vorschlagen. Der Bericht wird im Frühjahr 2021 erwartet. Der Bundesrat erwähnt in seiner Antwort explizit die GRA als Organisation der Zivilgesellschaft, die bereits ein eigenes Meldetool für Rassismus im Internet entwickelt hat.

4. Verschwörungstheorien in Zeiten gesellschaftlicher Krisen

Wenn Esoterik und Rechtspopulismus aufeinandertreffen – Lisa Schwaiger

Seit einigen Jahren forsche ich zum Thema «Alternativmedien», worunter Nachrichtenmedien zu verstehen sind, die sich gegen die politische und mediale Öffentlichkeit, den so genannten «Mainstream» richten. Als gegenöffentliche Gruppierungen erlangten sie in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit Begriffen wie «Fake News» bzw. «Desinformation» oder «Verschwörung» öffentliche Aufmerksamkeit und werden als ernst zu nehmende Gefahr für die soziale Ordnung respektive Demokratie betrachtet. Die absichtliche Verbreitung falscher Nachrichten («Fake News») evoziert schliesslich eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, die demokratische Willensbildung ist gefährdet und das Vertrauen in Institutionen (wie Politik oder Medien) wird brüchig.

Verschwörungstheorien sind in diesem Zusammenhang jedoch differenziert zu betrachten. Verschwörungstheorien vereinen im Kern die Annahme, dass gesellschaftliche Ereignisse miteinander verwoben sind und im Geheimen von – meist elitären – Gruppen gesteuert werden; nichts passiert zufällig. Verschwörungstheorien existieren seit jeher, so wurden im Mittelalter Hexen als vermeintliche Verursacherinnen von Naturkatastrophen verfolgt. In den vergangenen Jahren sammelten sich beispielsweise nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zahlreiche Verschwörungstheorien, wonach das Attentat geplant gewesen wäre, oder auch im Zuge der Flüchtlingsbewegungen 2015, als u. a. antisemitische Theorien verbreitet wurden, wonach Juden die Migrationsbewegungen bewusst steuern würden.
In besonderem Masse mit dem Thema Verschwörung konfrontiert wurden wir jüngst im Zuge des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie. Bill Gates, George Soros und weitere elitäre (häufig jüdische) Personen würden eine neue Weltordnung planen, das Virus solle in einem Labor gezüchtet worden sein, mit dem Ziel einer Zwangsimpfung und Überwachung der Gesellschaft durch injizierte Mikrochips – um nur beispielhafte Mythen aufzuzählen.

In Abgrenzung zur absichtlichen Verbreitung von Falschinformationen ist im Fall von Verschwörungstheorien häufig nicht empirisch belegt, ob die Theorie tatsächlich wahr oder falsch ist. Insofern existieren auch Theorien, die sich im Nachhinein als wahr entpuppten, wie beispielsweise die Watergate-Affäre in den 1970er Jahren. Dies ist allerdings eine weniger Ausnahmen.

Die Verbreiter_innen von Verschwörungstheorien sind indes häufig davon überzeugt, dass ihre Theorien der Wahrheit entsprechen und erachten es als ihre gesellschaftliche Aufklärungsfunktion, möglichst viele davon zu überzeugen. Gefahren für die demokratische Ordnung ergeben sich jedoch insbesondere dann, wenn Gegenbeweise existieren, die Theorien also empirisch falsch sind, und ein rationaler Diskurs darüber nicht mehr möglich ist; wenn Verschwörungstheorien eine Polarisierung der Gesellschaft befördern, indem z. B. Gruppen diffamiert werden – beispielsweise Jüdinnen und Juden.

Länderübergreifende Vernetzung

In den vergangenen Jahren erlebten wir einen gefühlten «Aufschwung» verschwörungstheoretischer Narrative. Dies hat mehrere Gründe: Einerseits wurde es durch die Etablierung von Social-Media-Plattformen für Lai_innen möglich, Inhalte – wie auch gegenöffentliche Meinungen – ohne Überprüfung zu verbreiten. Auch das Teilen von verschwörungstheoretischen Beiträgen, z.B. über Videoformate, wurde dadurch um vieles einfacher. Die algorithmische Selektion durch die Plattformen und damit einhergehende «Vorschläge» von Beiträgen, die den eigenen Interessen entsprechen, können dabei zu einer Art Sogwirkung dieser skandalisierenden undemotionalisierenden Beiträge führen. Andererseits befördern gesellschaftliche Krisen einen Aufschwung alternativer Deutungsmuster, wie beispielsweise im Zuge der COVID-19- Pandemie deutlich wurde. Krisenphasen sind geprägt von Gefühlen der Unsicherheit und Ängsten des Kontrollverlustes, offizielle Statements der Regierungen werden fallweise nicht mehr als zufriedenstellend betrachtet (van Prooijen & Douglas, 2017). Bürger_innen suchen nach Antworten für komplexe Sachverhalte. Die Bereitschaft, für alternative Narrative – beispielsweise in Form von Verschwörungstheorien – empfänglich zu werden, steigt: «Schuldige» hinter der Krise werden gesucht. Gerade diese Suche nach «Sündenböcken» ist für moderne Gesellschaften besonders problematisch. Es etabliert sich eine «Gut»- vs. «Böse»-Semantik, Gesellschaftsgruppen werden diskreditiert.

Inwieweit Verschwörungstheorien in der Schweiz deutungsmächtig sind, ist schwierig zu beurteilen. Vielmehr handelt es sich um einzelne Gruppen innerhalb der Gesellschaft, die affin gegenüber solcher Verschwörungsmythen sind und sich – beispielsweise mithilfe digitaler Möglichkeiten – miteinander vernetzen. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um einen kleineren Ausschnitt der Gesellschaft handelt, der allerdings, z. B. mittels Protestaktionen und Demonstrationen, «am lautesten schreit» und somit auf mediale Resonanz stösst. Nicht zu unterschätzen ist dennoch die länderübergreifende Vernetzung jener Gruppierungen, sei es über Websites oder Social-Media-Plattformen. Schweizer Websites mit verschwörungstheoretischem Charakter lassen sich zwar an einer Hand abzählen – so beispielsweise die Seite Uncut-News mit über 800’000 monatlichen Zugriffen –, im Ländervergleich mehren sich einschlägige Seiten beispielsweise aus Deutschland jedoch beachtlich – und werden mitunter von Schweizerinnen und Schweizern häufig genutzt. So z.B. die deutsche Plattform KenFM, die durch Ken Jebsen betrieben wird, der mitunter schon mit antisemitischen Beiträgen für Aufregung gesorgt hat1. Verschwörungstheoretische Medien werden häufig von Lai_innen produziert, was sich auch in laienhaftem, oft düsterem Design widerspiegelt: so spielt beispielsweise die Schweizer Website Alles Schall und Rauch mit der Symbolik einer in Flammen aufgehenden Welt. Thematisch fokussiert werden neben Verschwörungsmythen auch spirituelle und esoterische Themen, wie beispielweise Alternativmedizin.

Allianzen von links bis rechts

Obwohl wissenschaftlich belegt ist, dass u. a. rechtspopulistische Einstellungen einen Einfluss auf die Affinität gegenüber Verschwörungstheorien haben können (Castanho Silva, Vegetti & Littvay, 2017)2, zeigt sich im Zuge der Corona-Pandemie mitunter ein differenzierteres Bild. Medial diskutiert wurde beispielsweise die Corona-Demonstration in Berlin im Herbst 2020, als Demonstrant_innen mit Deutschen Reichsflaggen ihr Unbehagen kundgetan haben – nur wenige Meter entfernt davon Demonstrant_innen mit Regenbogenflaggen in der Hand. Obgleich es sich hierbei um ein paradoxes Bild handelt, wird gleichzeitig deutlich, dass das gemeinsame Thema – die Kritik an Corona-Massnahmen – als kleinster gemeinsamer Nenner neue Gemeinschaften bildet. Die politische Gesinnung scheint dabei eine geringere Rolle einzunehmen, vielmehr gilt es, gegen das gemeinsame «Feindbild» aufzustehen. Dabei können sich die jeweiligen Motive für eine Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen stark voneinander unterscheiden: Nicht alle Demonstrationsteilnehmenden verbindet der Glaube an Verschwörungstheorien. Und auch der Glaube an jene Mythen kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, gibt es schliesslich mittlerweile eine Vielzahl davon.

Neben der Gefahr einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung birgt die zunehmende Verbreitung von Verschwörungstheorien im Zuge dieser Pandemie für alle Bürger_innen ein weiteres ernst zu nehmendes Risiko. Studien konnten bereits belegen, dass der Glaube an Verschwörungstheorien Einfluss auf das subjektive Handeln haben könne: So würden Personen, die an Verschwörungstheorien mit Bezug auf den Klimawandel glauben, weniger auf ihren ökologischen Fussabdruck achten (Jolley & Douglas, 2014; van der Linden, 2015). Aktuelle Befunde zeigen weiter, dass der Glaube an eine Corona-Verschwörung mit dem Nichteinhalten von Massnahmen einhergehen könne (Pummerer et al., 2020) – was schlussendlich unser aller Gesundheit gefährden würde.

Viele von uns erreichten in den letzten Monaten verschwörungstheoretische Beiträge, beispielweise über Messenger-Dienste, von Personen aus dem Bekanntenkreis.
Auch als Forscherin zum Thema «Verschwörung» ist man umso bestürzter, wenn man auch im Privaten damit konfrontiert wird. Prinzipiell scheint jede_r für den Glauben an Verschwörungen empfänglich zu sein, der/die stark mit Gefühlen der Unsicherheit und Ängsten während der Krise zu kämpfen hat. Die Frage, wie man in diesem Fall am besten reagieren soll, ist schwierig, zumal jeder Versuch, eine Verschwörungstheorie aufzudecken, von Anhänger_innen als weiterer Beweis für die Wahrheit der Theorie gedeutet werden kann. Ich sehe es dennoch als wesentlich, sich auf einen möglichst respektvollen Diskurs einzulassen, um jene abzuholen, die für rationale Argumente überhaupt noch empfänglich sind. Dabei ist es wesentlich, die Ängste dieser Personen ernst zu nehmen und diese nicht ins Lächerliche zu ziehen; Fragen zu stellen und nicht zu schnell aufzugeben. Dies bedeutet Arbeit für uns alle und wird realistischerweise nicht immer gelingen. Gerade aber bei Personen, die uns nahestehen, sollten wir uns die Mühe machen.

Zur Person:
Lisa Schwaiger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) und am Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich. Im Rahmen ihrer Dissertation untersuchte sie alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum.

Literaturverzeichnis

[1]Castanho Silva, B., Vegetti, F. & Littvay, L. (2017). The Elite Is Up to Something: Exploring the Relation Between Populism and Belief in Conspiracy Theories. Swiss Political Science Review, 23(4), 423–443. doi:10.1111/spsr.12270

[2]Jolley, D. & Douglas, K. M. (2014). The Social Consequences of Conspiracism: Exposure to Conspiracy Theories Decreases Intentions to Engage in Politics and to Reduce One’s Carbon Footprint. The British Psychological Society, 105(1), 35–56. doi:10.1111/bjop.12018

[3]Oliver, J. E. & Wood, T. J. (2014). Conspiracy Theories and the Paranoid Style(s) of Mass Opinion. American Journal of Political Science, 58(4), 952–966. doi:10.1111/ajps.12084

[4]Pummerer, L., Böhm, R., Lilleholt, L., Winter, K., Zettler, I. & Sassenberg, K. (2020). Conspiracy Theories and their Societal Effects during the COVID-19 Pandemic. Abgerufen unter https://arxiv.org/abs/2004.13783

[5]van der Linden, S. (2015). The Conspiracy-Effect: Exposure to Conspiracy Theories (About Global Warming) Decreases Pro-Social Behavior and Science Acceptance. Personality and Individual Differences, 87, 171–173. doi:10.1016/j.paid.2015.07.045

[6]van Prooijen, J. W. & Douglas, K. M. (2017). Conspiracy Theories as Part of History: The Role of Societal Crisis Situations. Memory Studies, 10(3), 323–333. doi:10.1177/1750698017701615

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Diskriminierungsbericht 2023

Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

Diskriminierungsbericht 2023

Medienmitteilung Diskriminierungsbericht 2023

 

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