Antijudaismus

Weitere Begriffe zum Thema Judentum:

Antijudaismus bezeichnet religiös und theologisch motivierte Judenfeindschaft.

Die antijüdische Tradition des Christentums geht auf die konflikthafte Ablösung der frühen Christ:innen vom Judentum zurück. Der christliche Antijudaismus gab den Jud:innen die Schuld am Tod Jesu («Gottesmörder»), wodurch sie von Gott «enterbt» und verflucht worden seien. Jud:innen wurden beschuldigt, den Gottesmord an Hostien, in welche sich (gemäss dem Dogma der Transsubstantation) während der Hochmesse der Leib Jesu verwandelte, zu wiederholen («Hostienschändung»). Zudem wurden sie angeklagt, Ritualmorde zu begehen und das Blut christlicher Kinder für rituelle Zwecke zu benutzen («Ritualmordlegende»). Religiöse Motive verbanden sich mit wirtschaftlichen: Da ein kirchliches Verbot es Christ:innen untersagte, Zinsen einzunehmen, Jud:innen vielerorts kein Land besitzen und kein Handwerk ausüben durften, waren sie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit mehrheitlich im Geldverleih und im Kleinhandel tätig. Ihre christlichen Schuldner:innen verhetzten sie als geldgierige Wucherer:innen. Während der Pestepidemie im 14. Jahrhundert wurden die jüdischen Gemeinden der Brunnenvergiftung verdächtigt – ein frühes Beispiel für den Vorwurf, die Jud:innen würden sich gegen Gott und die christliche Welt verschwören. Es folgte eine noch nie dagewesene Welle von Pogromen und Vertreibungen in West- und Mitteleuropa. Im Kontext sozialer und politischer Not oder grosser Katastrophen diente der Antijudaismus oft als Ventil: Wut und Verzweiflung der Bevölkerung richteten sich dann nicht gegen die Obrigkeiten, sondern gegen die jüdische Gemeinschaft, die den Pogromen meist ungeschützt ausgeliefert war. Antijüdische Gesetzgebung, judenfeindliche Hetze und Pogrome seit der Antike sind deshalb nicht isoliert, sondern im Rahmen sozialer und politischer Entwicklungen zu sehen.

Negative Bilder von Jud:innen fanden Eingang in die christliche Liturgie, in Predigten, Gebete und Katechismen und schufen eine Verbreitung antijüdischer Vorurteile, Mythen und Legenden. Vom religiösen Antijudaismus zum rassistischen Antisemitismus verläuft keine geradlinige Entwicklung; die religiösen, judenfeindlichen Bilder haben aber den Boden bereitet für den späteren, rassistischen Antisemitismus. Während der Reformation veränderte sich die christliche Judenfeindschaft nicht grundsätzlich. In seinen frühen Schriften sprach sich Martin Luther zwar gegen die Ritualmordlegende und gegen Zwangstaufen aus. Als sich aber der dadurch erhoffte Erfolg in der Judenmission nicht einstellte, verschärfte Luther seine Haltung in der 1543 publizierten Schrift «Von den Juden und ihren Lügen». Die katholische Kirche nahm den Vorwurf des Gottesmordes erst im Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 zurück und bekannte sich zum solidarischen Dialog mit dem Judentum. Die kirchliche Mitverantwortung an den Judenverfolgungen wurde jedoch nicht anerkannt. 2008 führte Papst Benedikt XVI. in der Karfreitagsfürbitte eine ältere Formulierung wieder ein, in der um die Erleuchtung der Jud:innen gebeten wird, «damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen». Dies hat zu nachhaltigen Störungen im jüdisch-christlichen Dialog geführt. 2009 hat der Papst zudem die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Piusbruderschaft (1970 von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründet) aufgehoben, darunter auch jene des Holocaustleugners Richard Williamson.

Religiösen Antijudaismus gibt es bis in die Gegenwart. Religiöse Vorwürfe wurden vom Antisemitismus des 19. Jahrhunderts nicht abgelöst, sondern mit rassistischen Stereotypen umgeformt und überblendet. Heute wird Antijudaismus vor allem im spezifisch christlich-theologischen Kontext gebraucht; allgemeine Judenfeindschaft wird als Antisemitismus bezeichnet.

Siehe auch die Stichworte Antisemitismus und Weltjudentum.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015

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10.04.2024

Diskriminierungsbericht 2023

Der neuste Bericht der GRA und GMS zum Jahr 2023 ist da.

Aufgrund der Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches (StGB) in den letzten Jahrzehnten, auch im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung, wurde der Bericht umbenannt und heisst nunmehr „Diskriminierungsbericht“ anstelle von „Rassismusbericht“.

Die umfassende Analyse der jährlichen Diskriminierungsfälle in der Schweiz 2023 zeigt einen sprunghaften Anstieg der antisemitischen Vorfälle nach dem Angriff der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza. Damit einher geht eine zunehmende Sichtbarkeit von allgemein diskriminierenden Taten und Hassreden. Die insgesamt 98 registrierten Vorfälle im Jahr 2023 stellen eine Zunahme um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr dar.

Was für Schlüsse daraus zu ziehen sind und welche Konzepte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus helfen können sind im vollständigen Bericht inklusive Interview mit Hannan Salamat vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und der dazugehörigen Medienmitteilung zu finden.

 

Diskriminierungsbericht 2023

Medienmitteilung Diskriminierungsbericht 2023

 

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