Reformjudentum

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Das liberale Judentum entstand Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Nach der Emanzipation und dem Eintritt in die nicht jüdische Gesellschaft begannen auch im Judentum Prozesse der Säkularisierung. Mit Reformen in Liturgie, religiöser Praxis und Lehre passten immer mehr jüdische Gemeinden die jüdische Tradition an die Moderne an. In den USA wird die entsprechende Strömung Reformjudentum genannt.

Das heutige Judentum kennt grundsätzlich drei grosse Strömungen: das orthodoxe, das konservative und das liberale Judentum. Für das orthodoxe Judentum gelten die schriftliche (Tanach) und mündliche Lehre (Talmud) sowie das daraus folgende Religionsgesetz (Halacha) als göttliche Offenbarung, die in keiner Weise verändert werden dürfen. Ritus und religiöse Praxis der Orthodoxie sind streng traditionalistisch. Im Gegensatz dazu verstehen das konservative und das liberale Judentum die jüdische Religion als Organismus, der sich mit zeitgenössischen Bedingungen wandelt und sich ihnen anpasst. Das konservative Judentum lehnt sich dabei enger an die jüdische Tradition an; insbesondere die jüdischen Speisegesetze (Kaschrut) und das Einhalten des Schabbat haben einen grösseren Stellenwert als im liberalen Judentum.

Im 19. Jahrhundert initiierten viele jüdische Gemeinden in Deutschland Reformen: Sie liessen Musikinstrumente (v. a. Orgeln) zu, veränderten die traditionelle Liturgie und verwendeten die Landessprache im Gottesdienst. Wichtigster Theoretiker des liberalen Judentums war der Rabbiner Abraham Geiger (1810-1874). So wie die Gelehrten des frühen rabbinischen Judentums die biblische Religion weiterentwickelten, so soll nach jüdisch-liberaler Auffassung die religiöse Praxis des Mittelalters gewandelt und der modernen Zeit angepasst werden. Die göttliche Offenbarung wird im liberalen Judentum nicht als ewig und unabänderlich, sondern als «progressive Offenbarung» verstanden, die sich im Laufe der Zeit entwickelt. Im Zentrum der liberalen Überzeugungen stehen universalistische Werte.

Das liberale Judentum breitete sich im 19. Jahrhundert von Deutschland in andere Länder Mittel- und Westeuropas aus. Vor dem Holocaust war es in Westeuropa stark verbreitet. In den USA gründeten deutsche Einwanderer:innen neue liberale Gemeinden. Sie grenzten sich dabei stärker als ihre europäischen Glaubensgenossen gegen die Tradition ab. In den USA ist das liberale Judentum heute die am weitesten verbreitete Strömung unter Jud:innen. In Europa sind liberale Gemeinden seit dem Holocaust allerdings eine kleine Minderheit; in der Schweiz gibt es deren drei. 1970 wurde in Genf die Communauté Juive Libérale de Genève (GIL), 1978 in Zürich die Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch (JLG) und 2004 in Basel Migwan (hebr. Vielfalt) gegründet. Die orthodoxen Gemeinden der Schweiz wehrten sich 2003 erfolgreich gegen die Aufnahme der Liberalen in den Dachverband der Schweizer Jud:innen, den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG). Dies führte zur Gründung der Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS). International ist das liberale Judentum in der «World Union for Progressive Judaism» mit Sitz in Jerusalem organisiert.

Das liberale Judentum ist weder in der Praxis noch in der Lehre ein einheitliches System. Gemeinsam ist heute allen liberalen Gemeinden die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der religiösen Praxis (z. B. Ordination von Rabbinerinnen), die Verwendung der Landessprache (neben Hebräisch) im Gottesdienst, eine auf universalistische Texte ausgerichtete Liturgie sowie eine freie Interpretation der biblischen Texte und Gebote. Das amerikanische liberale Judentum (genannt Reformjudentum) anerkennt Kinder eines jüdischen Mannes und einer nicht jüdischen Frau auch als Jud:innen – allerdings ist diese Anerkennung umstritten und wird in vielen liberalen Gemeinden nicht geteilt. Von der Orthodoxie werden weder Kinder einer nicht jüdischen Mutter noch Personen, die von konservativen oder liberalen Rabbiner:innen konvertiert wurden, als Jud:innen anerkannt.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2019, unter Mitarbeit von Sarah Durrer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Zentrums für Jüdische Studien in Basel.

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13.12.2023

«Nicht bei uns! Gegen Rassismus und Antisemitismus»

Die Kampagne startet mit Strassenplakaten ab dem 11. Dezember und dauert bis Ende Januar 2024. Dazu werden nebst klassischen Plakaten zusätzlich die grossen Anzeigetafeln in Bahnhöfen, kleine Displays im öffentlichen Verkehr und weiteren Orten bespielt.

In sozialen Medien, insbesondere Instagram, sowie in Printmedien wird die Kampagne ebenfalls zu sehen sein.

Hier geht es zu mehr Infos über die Kampagne und den Plakaten als Download.

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